SEINE FLUCHTEN

Der Schinderhannes und der Rhein, wie passt das zusammen? Für den Räuber Johannes Bückler bedeutete der Deutsche Fluss Zuflucht, Freiheit, Sicherheit. Für eine lange Zeit. Man könnte dem Fluss vorwerfen, Schuld daran zu sein, dass der Schinderhannes so lange sein Unwesen treiben konnte.

Der Rhein stellt um das Jahr 1800 nicht nur ein natürliches Hindernis dar. Der Rhein bildet damals auch die von gut bewaffneten Kräften aufmerksam bewachte Grenze zwischen dem feudal regierten Deutschland und dem revolutionären Frankreich. Die Nationen liegen im Krieg miteinander.
Frankreich auf der einen Seite, Österreich und Preußen auf der anderen. Schon mehrfach hat die Front auf dem Hunsrück gewechselt, nun ist der Rhein die gut bewachte, unüberwindbare Grenze. Zwölf mal floh der Schinderhannes von Westen nach Osten über den Rhein und ein Mal auch von Osten nach Westen.

So ganz unüberwindbar war der Rhein also wohl doch nicht. Da gibt es so genannten die „Kochemer Wege“ . Nun als „Kochemer“ bezeichnen sich Räuber und Gesindel in dieser Zeit selbst. So grenzen sie sich von den „Wittischen“, den Ehrlichen, ab.

Einer dieser Kochemer Wege führt über den Rhein. Wer jetzt glaubt, die Räuber seien mal schnell vom Hunsrück herunter zum Mittelrhein gekommen und dann nichts wie ab über den Rhein der liegt falsch.

Der Rhein ist erst zwischen 1817 und 1890 begradigt worden. Einer der Ideengeber der Rheinbegradigung, der Karlsruher Ingenieur Gottfried Tulla, beschreibt den Fluss vor der Begradigung wie folgt: „Die Wichtigkeit der Behandlung des Rheins steht im Verhältnis mit seiner zerstörerischen und seiner schaffenden Kraft, mit der Ausdehnung des Spielraumes derselben und den Interessen der Uferbewohner erstere zu schwächen und letztere zu vergrößern.“  Der Rhein birgt damals Leben und Tod in sich. Es konnte gefährlich werden, ihn überschreiten zu wollen. Das gilt besonders für den Mittelrhein. Durch die Enge des Tals ist der Fluss hier meist ein reißender Strom.  Keine Übergangsstelle für die, die keine Zeit haben.

Aber dem Schinderhannes und seinen Kollegen bleibt keine andere Wahl um sich vor den französischen Gendarmen und den eigens auf sie angesetzten Sonderermittlern Keil und Becker in Sicherheit zu bringen. So nutzen sie die Stelle, die selbst nach mittelalterlichen Urkunden als die älteste Übergangsstelle am Rhein bekannt ist: Die Querung zwischen Hamm und Klein-Rohrheim südlich von Worms. Hier meandert der Rhein als breites, meist flaches Gewässer.

Deshalb führt der Kochemer Weg vom Hunsrück über die Nahe durch Rheinhessen nach Hamm an den Rhein. Auf dem Weg haben sich die Gauner ein System von Verstecken erschlossen. Die letzte, sichere Unterkunft ist der Hof der Witwe Seibel in Hamm. Sie sorgt meist auch für die „inoffizielle“ Überfahrt über den großen Strom. Die beiden Söhne der Witwe bringen den Schinderhannes, seine Gefährten und ihre Beute, darunter manchmal auch gestohlene Pferde, mit ihrem Nachen über den Rhein. Für die heimlichen Überfahrten verlangt das "Familienunternehmen" horrende Fährpreise.  Der Schinderhannes selbst nennt in einem Verhör einen Louis d’or als Fährpreis.

Als Schwerverbrecher ist der „Schöne Hans“, wie der spätere Schinderhannes da noch gerufen wurde, zum ersten Mal im Januar 1800 aufgefallen.
Da ermordet der Peter Stibitz bei einem Einbruch gemeinsam mit dem Bückler den Peter Riegel in Otzweiler. Und weil der Schinderhannes weiß, ein Mord ist etwas anderes als ein Raubüberfall, flieht er mit Stibiz zum ersten Mal auf das rechte Rheinufer, um sich den Nachforschungen der französischen Gendarmerie zu entziehen.  Und weil dies so gut geklappt hat, flieht der Schinderhannes immer, wenn im Hunsrück die Luft zu dünn wird, über den Rhein. Der Fluß wird zu einer vertrauten „Sicherheitseinrichtung“. Meist begeben sich die Räuber nach Klein-Rohrheim, einer kleinen Ortschaft gegenüber Hamm gelegen.

Nach einer weiteren Flucht im  Mai 1801 erfährt der Schinderhannes in Klein-Rohrheim, dass bald die Kirmes ansteht.  Am 25. Mai 1801 besuchen die Räuber die Kirchweih. Es kommtzu einem Streit mit einem Trupp Mainzer Gendarmen, schließlich zu einer brutalen Schlägerei. Der Korporal Franz Kleb verstirbt an den Folgen des Streites. Hannes und seine Leute müssen wieder fliehen, dieses Mal aber in die andere Richtung.

Im Juli 1801 wechselt der Schinderhannes aus einem anderen Grunde gemeinsam mit Julchen auf die rechte Rheinseite. Julchen bringt in einem Wald  bei Bruchsal ihr erstes Kind, ein Mädchen, zur Welt. Doch die widrigen Umstände sorgen dafür, dass es bald stirbt.

Am 18. Februar 1802 überfällt der Schinderhannes den Jakob Schweizer in Rehborn. Unmittelbar danach flieht er wieder über den Rhein.

Im April 1802 begibt er sich zum letzten Mal in den Hunsrück. Der Verfolgungsdruck ist inzwischen so groß, dass er sich nicht mehr traut, weitere Straftaten zu begehen. Als die Franzosen im  Mai 1802 den Ermittlungsdruck weiter erhöhten,  flieht Hannes mit  Julchen in einem Planwagen über den Rhein. Dort nennt er sich Jakob Ofenloch und zieht als Warenhändler umher.

Aber bald sollt der Schinderhannes erneut den Rhein überqueren. Dann aber zum letzten Mal.

Julchen und Hannes haben keine Papiere. Gleich zwei Mal laufensie  einer Streife in die Arme. Um sich endgültig in Sicherheit zu bringen verpflichtet der Schinderhannes sich Anfang Juni 1802 unter dem Namen Jakob Schweikart als Soldat.  Aber ein Räuberkollege,  Adam Zerfaß mit Namen, erkennt und denunziert ihn. Hannes und Julchen werden verhaftet und zu Vernehmungen nach Frankfurt am Main verbracht.
Am 16. Juni 1802 werden Johannes Bückler genannt Schinderhannes und seine Gespielin, Juliane Blasius, genannt Julchen, von der kaiserlichen Militär-Direktion und dem Rat der  Reichsstadt Frankfurt am Main an die Franzosen nach Mainz ausgeliefert und im Holzturm arretiert.

Das war das letzte Mal, dass der Schinderhannes den Rhein überquerte.