SEINE ZEIT

Was war das für eine Zeit, die Räubern und Mördern Gelegenheit gab, sich zur Rechtfertigung ihres schändlichen Tuns auf die Zeit zu berufen?
 
Das Jahr 1789 ist für ganz Europa der Wendepunkt. Die Gedanken der französischen Revolution wehen durch die Nationen. Eine neue Zeit bricht an. Die traditionelle Ordnung aus Feudalstaat und Kirche wird zunächst in Frankreich beseitigt. Bis zum Ende des Jahrhunderts verbreiten französische Revolutionstruppen, begleitet von dem Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung, die Ideen der Revolution über nahezu ganz Europa.

Die dadurch ausgelösten Revolutionskriege belasten in ganz besonderer Weise das Rheinland. Den linksrheinisch gelegenen Hunsrück trifft es besonders hart.  Die Fronten zwischen den französischen Revolutionstruppen und dem Feudal-Armeen Österreichs und Preußens wechseln mehrfach. Als Aufmarschgebiet wird Hunsrück heftig in Mitleidenschaft gezogen. Bauern werden vertrieben, Felder verwüstet, Vieh requiriert und Dörfer gebrandschatzt.


Dem Volk geht es schlecht.
 
Die Menschen haben nur wenig zu essen. Viele sind auf der Flucht und können ihrem angestammten Beruf nicht mehr nachgehen. Der Sturz der Feudalordnung, in den viele Bürger ihre Hoffnungen gesetzt haben, führt nicht sofort zu mehr Ordnung oder Mitsprache. Im Gegenteil, nach anfänglicher Zurückhaltung schlägt seitens der französischen Herrschaft eine Besatzermentalität durch. Schließlich verlangt die neue Obrigkeit hohe Abgaben an den französischen Staat, die das Volk noch tiefer in die Armut führt.
 
In diesem Klima wächst in den vom Krieg heimgesuchten Gebieten eine Vielzahl von Raub- und Diebesgesindel heran, arme Teufel, Nichtsesshafte am Rand der Gesellschaft.  Meist organisiert in Banden versuchen sie sich mit Hausieren und Bettelei, Überfällen und Diebstählen ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie treiben ihr Unwesen vor allem in den Landstrichen links und rechts des Rheins: die Hannikelbande im Nordelsaß und der Pfalz, die Hölzerlippsbande in der Gegend um Heidelberg, die Chawwerrusche im Spessart, die brutalste und größte, die Große Niederländische Bande um Abraham Picard entlang des Rheins von Rotterdamm bis Basel, die Eifel-Moselbande unter Hans Bast Nikolay und eben die Schinderhannesbande mit Johannes Bückler als ihrem Anführer.
 
Die Armut der Zeit macht es den Banden leicht, unter "Ihresgleichen" unterzutauchen, verarmte Bauern, Köhler und Müller einzuschüchtern oder nach erfolgreichen Raubzügen unter der Bevölkerung "Gutes zu tun". So feiert der Schinderhannes mehrfach Räuberfeste, zu denen ganze Ortschaften kostenfrei bewirtet werden. Beim berühmtesten Fest, dem Räuberball zu Griebelschied, sollen sogar die örtlich zuständigen Gendarmen einladen und zugegen gewesen sein. Die neue Ordnung hat es noch nicht geschafft, ein schlagkräftiges Polizeiwesen aufzubauen, die Gendarmen sind schlecht bezahlt und damit anfällig für Bestechung.


Gauner brauchen Gaunersprachen.
 
Die Banden entwickeln ihre eigene Gaunersprache, das so genannte Rotwelsche. Die "Kochemer", so nennen sich die Gauner selbst, benutzen damit eine Fachsprache, die sie gegen die "Wittischen", die rechtschaffenen Bürger, abgrenzen. Das Rotwelsche dient als Erkennungszeichen. Es signalisiert dem Gesprächspartner, dazu zu gehören und verstärkt die Bandenmentalität.

Basis des Rotwelschen ist die Deutsche Sprache, aus der heraus sich spezielle Bezeichnungen für häufig gebrauchte Dinge geformt haben. Einige Begriffe aus dem Rotwelschen haben ihrerseits Eingang in die Deutsche Sprache gefunden, so zum Beispiel das "baldowern" für nachforschen, der "Krauter" als Bezeichnung für den Chef eines kleinen Handwerkbetriebes oder das "Platte machen" für auf der Straße leben. Auch die umgangssprachliche Bezeichnung "Bulle" für einen Polizisten hat ihren Ursprung in der Räubersprache: "Puhler" waren Polizisten.
 
Zum Gebrauch des Rotwelschen gehörte weit verbreitet auch das sogenannte Zinken. Beim Zinken werden geheime Zeichen an Haustüren oder vor Ortschaften angebracht. Zinken ist eine Sprache der visuellen Kommunikation, die es dem Empfänger erlaubt, schnell Informationen, etwa über Haus- oder Dorfbewohner, zu erhalten. Der Schinderhannes soll Zinken zur Fertigung seiner Sicherheitskarten verwendet haben, die es Armen oder nach erfolgreicher Erpressung begüterten Reisenden erlaubt haben, den Soonwald überfallfrei zu bereisen.
 

Drakonische Strafen drohen.

Die Unbilden der Zeit führen nicht nur zur Verrohung der Banden, auch die Strafmaßnahmen der Justiz spiegeln die Einstellung zur Gewalt wieder.

Seit der 1532 vom Regensburger Reichstag verabschiedeten "Peinlichen Halsgerichtsordnung" (Carolina) richten sich die dort vorgesehenen Todesstrafen nach dem Delikt, das abgeurteilt wurde:
Vierteilung bei Verrat,
Rädern bei Vergiftung und Mord,
Feuer bei Zauberei, Münzfälschung, widernatürlicher Unzucht,
Brandstiftung, Galgen bei schwerem Diebstahl und
Schwert bei Vergewaltigung, Raub, Aufruhr, Fehde und Totschlag.

Die Todesstrafe ist nach damals allgemeiner Ansicht die effektivste Form der Abschreckung. Und die Abschreckung ist folgerichtig um so größer, je mehr Menschen dem Vollzug der Strafe beiwohnen. So werden Hinrichtungstage wie öffentliche Feiertage begangen. Und so wie das Publikum ein Recht auf das Schauspiel hat — glaubte man -, hat auch der Verurteilte ein Recht auf seinen letzten großen Auftritt und sei es nur, um der Öffentlichkeit seine Schuld einzugestehen oder seine Unschuld ein letztes Mal zu beschwören.


Die Einführung der Guillotine.

Mit der Erklärung der Menschenrechte 1789 in Frankreich wird auch die Gleichheit im Tode zum Grundsatz erhoben. Um diese Gleichheit der Stände auch bei Hinrichtungen demonstrieren zu können kommt der Arzt Joseph-Ignaz Guillotine (1738—1814) auf die Idee einer Enthauptungsmaschine, die für alle Zeit seinen Namen tragen wird. Sie ist schnell, sicher, ohne Handarbeit und wirkte auf König, Edelmann oder Bürger auf die gleiche Weise.

Immerhin führt die Guillotine zu einer gewissen „Humanisierung der Tötung von Menschen, indem sie das Leid der Delinquenten verkürzt. So soll der Schinderhannes zum Beispiel sehr erleichtert gewesen sein, als der Gerichtspräsident Rebmann ihm zugesichert habe, er werde nicht gerädert werden, sondern auf dem Schafott sterben. Die Guillotine ist den Mainzern übrigens noch lange erhalten geblieben, denn nach dem Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches kam Mainz zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt, das das französische Strafrecht beibehielt.


Freiheitsstrafen werden selten überlebt.

Härteste Form der Freiheitsstrafe ist die sogenannte Kettenstrafe, die nur selten von den Delinquenten überlebt wird. Ständig angekettet leben und arbeiten die Gefangenen in großen Gemeinschaftsräumen, den sogenannten Prisonen. Die darin herrschenden Lebensumstände beschreibt ein Anstaltsleiter der damaligen Zeit so:

"Die Prisonen sind so vollgepfropft, daß man sich in solchen nicht rühren kann und darum mit beständig übelriechenden Ausdünstungen so angefüllt, daß die meisten Sträflinge erkranken und durch anhaltendes Siechtum elend sterben."

Über die ganze Breite der möglichen Strafen gibt eine noch vorliegende Taxe für Exekutionen aus dem Jahre 1700 weiteren Aufschluss:
Delinquent besehen, ob er schon eine Execution an ihm vollzogen:
1 Thaler 30 Kreuzer
Mit Instrumenten zur Tortur aufwarten: 1 Thaler 30 Kreuzer
Daumenstock anlegen:  2 Thaler
Spanisch Stiefel anlegen: 2 Thaler
Bei der Tortur anziehen: 3 Thaler
Einen auf die Bank legen und mit Gerten streichen: 3 Thaler
Einen an den Pranger stellen und mit Ruten streichen: 2 Thaler
Einem eine Maulschelle geben: 2 Thaler
Einem den Galgen aufzubrennen: 3 Thaler
Einem Nasen und Ohren abzuschneiden: 5 Thaler
Einem die Zunge abzuschneiden: 5 Thaler
Einen mit glühenden Zangen zwicken: 5 Thaler
Einem die Hand abzuhauen: 5 Thaler
Einen mit dem Strang hinzurichten: 7 Thaler 30 Kreuzer
Einen mit dem Schwert hinzurichten: 7 Thaler 30 Kreuzer
Einen zu begraben oder das vom Galgen gefallene Gerippe: 2 Thaler
Den Kopf oder eine Hand auf den Pfahl zu stecken: 5 Thaler
Den Leib auf das Rad zu legen: 5 Thaler
Einen zu radbrechen: 12 Thaler
Einen zu verbrennen: 5 Thaler
Den Scheiterhaufen aufzurichten: 3 Thaler
Einen Selbstmörder zu henken (Selbstmörder wurden bestraft):
7 Thaler 30 Kreuzer
Einen zu vierteilen: 12 Thaler
Die Viertel auf die Straße zu henken: 3 Thaler
Wenn der Maleficiant mit dem Wagen zur Richtstatt geführt
werden muß oder doch der Wagen zur Richtstatt mitgehen muß:
3 Thaler
Einen einzusacken oder zu ersäufen: 5 Thaler
Einen Soldaten an die Justiz anschlagen (Strafe für Deserteure):
3 Thaler