HANNES & MISTER X

Passend zum Mythos Schinderhannes ist in der Schinderhannes-Forschung bis heute eine Frage ungeklärt geblieben: Wer war der Schinderhannes eigentlich, wie hieß er, wann und wo ist er geboren?

Obwohl die Geburtsbücher seines mutmaßlichen Geburtsortes Miehlen im Taunus klare Angaben enthalten, kann bis heute niemand zweifelsfrei nachweisen, ob der als Schinderhannes bekannt gewordene Räuberhauptmann der  Johann Wilhelm Bückler,  dessen älterer Bruder Friederich Philipp Bückler oder gar ein weiterer Bückler-Bruder gewesen ist. Zweifel an der Identität sind mehr als berechtigt.

Das Taufregister

Das Taufregister der Ortsgemeinde Miehlen enthält für das Jahr 1777 folgenden Eintrag:

„ ? den 24. Oktober — Friederich Philipp — Johann Bückler /Anna Maria —
1. Friederich Bickler v. Mertzhausen
2. Elisab. Kathar. Johannes Bückler Fr.
3. Joh. Phil. Bingel aus Singhofen“

Sechs Jahre später, 1783, verzeichnet das Taufregister eine weitere Geburt im Hause Bückler:

 „Johann Wilhelm Bückler, Sohn des Johannes Bückler dahier,  und der Anna Maria gebohrnen Schmidtin —
Phli. Wilh. Weiß, Joh. Diet. Schmidt, Maria Henriette Schmidtin sämtl. von Miehlen —
(geboren) — d 2. May — (getauft) — d. 29.h“

Johann Wilhelm Bückler, der, den alle für den Schinderhannes halten, wäre danach mit 13 Jahren Räuber geworden, er wäre während seiner Haft im Simmerner Schinderhannesturm 17 Jahre alt geworden und hätte im zarten Alter von 20 Jahren auf dem Schafott in Mainz sein Leben verloren. Das wäre selbst für die damalige Zeit, in der die Menschen schneller alterten und früher erwachsen wurden oder als erwachsen galten, eine Sensationskarriere. Die Zweifel an der Identität sind berechtigt!

Was sagt der Schinderhannes selbst zu seinem Alter?

Im Rahmen seiner ersten Vernehmung durch Wilhelm Wernher, Ordonnanz des Gerichtspräsidenten, in Mainz am 30sten Prärial 10ten Jahres, Nachmittags 3 Uhr, erklärte er auf die erste Frage, Welch ist euer Name, Alter, Gewerb, Geburts und letzter Wohnort?

"Ich heiße Johann Bückler, bin ohngefähr 22 Jahr alt, von Mühlen [Miehlen] bei Nastätten auf dem rechten Rheinufer gebürtig, Sohn von Johann Bückler und Anne Marie Schmitt, welche dermalen zu Kirschweiler, im Kanton Oberstein, Saardepartements wohnen; ich war bei denselben bis in mein 16tes Jahr, habe kein Gewerb erlernet.“

Zweiundzwanzig, sagt der Hannes also, sei er. Wäre er tatsächlich am 25. Mai 1783 geboren, wäre er aber erst 20 Jahre alt gewesen, wäre hingegen das Geburtsdatum 24. Oktober 1777 richtig. Wäre er 25 Jahre alt gewesen.
Das Mainzer-Spezialgericht übernimmt die Altersangabe des Schinderhannes aus seinem Kompetenzurteil ( Anklageerhebung),  vom 07. Februar 1803 und schreibt: „Johann Bückler, Sohn, Schinderhannes genannt, 23 Jahr alt, von Weiden bei Nastädten auf dem rechten Rheinufer gebürtig, ohne ständigen Wohnort.“

Datenwirrwarr seit 200 Jahren

Seit dieser Zeit hält das Datenwirrwarr an: von 1777 über 1778, 1779, dann um 1780 bis 1783: alles wird vertreten und auf das geduldige Papier gebannt.

Der Leipziger Literat und Journalist Johann Gottlob Schulz weilte 1803 rein zufällig in Mainz und beschrieb in einem Brief die Hinrichtung der Bande detailgetreu. Er hält fest, „Schinderhannes war 26 Jahre alt ?“
Der Brockhaus geht auf numero sicher indem er die möglichen Geburtsdaten rechnerisch mittelt:  „Johannes Bückler, der später nach dem ursprünglichen Beruf seines Vaters Schinderhannes genannt werden sollte, kam (wohl um 1780) in einer Familie zur Welt, die am Rande der Gesellschaft in Armut lebte.“
WIKIPEDIA datiert die Geburt des Schinderhannes auf das Jahr 1777 und relativiert die Angabe mit dem Zusatz, „evtl. auch 1778 der 1779)“. Die Dienste gehen aber nicht auf die Tatsache ein, dass Johann Wilhelm Bückler ausweislich des Geburtsbuches von Miehlen 1783 geboren worden ist.


Was sagen die Schinderhannes-Biografen zu der Frage?

Schon das erste Werk, das sich mit dem Leben des Räuberhauptmannes auseinandersetzt, geht der Frage des Geburtsjahres aus dem Weg. Wenige Monate nach der Hinrichtung der Hauptschuldigen der Schinderhannesbande erschien das Buch: >Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an beyden Ufern des Rheins>. Der Autor, Johann Nikolaus Becker, Sicherheitsbeamter des Bezirks von Simmern, hatte sich um die Festnahmen der Räuber besonders verdient gemacht und seine Erkenntnisse in diesem 1804 bei Keil zu Cöln erschienenen Buch veröffentlicht. Er schreibt, sonst detailgenau, hierzu lediglich: „Hier (Mühlen bey Nastätten) ist Johann Bückler, genannt Schinderhannes geboren.“ Becker gibt zwar eine Namensnennung „Johann“, er vermeidet aber die Angabe des Geburtsjahres.

Curt Elwenspoek, der 1925 eines der meistgelesenen Schinderhanneswerke >Schinderhannes, der rheinische Rebell< veröffentlichte, schreibt: „Ein solcher Wasenmeister Bückler saß um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zu Merzweiler im Saargebiet. Er hatte einen Sohn, Johann, der beim Vater das Abdeckergewerbe erlernte und sich gegen Ende der siebziger Jahre als Schinder in Mühlen bei Nastätten niederließ. Dort fand er in der Bauerstochter Anna Maria Schmid seine Ehehälfte, die ihm 1778 oder 1779 - das Jahr steht nicht sicher fest - als erstes Kind einen Sohn gebar, der nach seinem Vater Johannes getauft wurde. Dieser Schindersohn und Schinderhannesenkel Johannes Bückler ist der fragwürdige Held unseres in mancherlei Abgründe hinableuchtenden Buches."

Edmund Nacken veröffentlicht 1978 seine Schinderhannesbiographie. Darin bestimmt er das aus dem Taufregister Miehlen erkenntliche Geburtsdatum des Friederich Philipp Bückler, korrekt, 24. Oktober 1777, das des Johann Wilhelm Bückler aber benennt er mit dem 15. Mai 1783 falsch. Es dürfte sich dabei m. E. um einen Tippfehler handeln. Edmund Nacken jedenfalls geht davon aus, dass der Schinderhannes im Alter von 20 Jahren geköpft worden ist.

Helmut Höfling schreibt  in seinem eher trivialliterarischen Buch >Helden gegen das Gesetz<, das 1977 bei ECON erschien: „Das genaue Geburtdatum des Schindersohnes und Schinderenkels Johannes — denn auch sein Großvater übte bereits diesen Beruf aus — ist umstritten. Es muß zwischen 1777 und 1783 gelegen haben, wahrscheinlich 1778 oder 1779.“

Bernhard Bachmann gibt 1978  in der Zeitschrift >Damals — Zeitschrift für geschichtliches Wissen< Heft 5 als Geburtsdatum den „25. Mai 1778“ an.

Manfred Franke schreibt in seinem 1977 erschienenen >Schinderhannes, Kriminalgeschichte, Abentheuer und Wunder und doch streng der Wahrheit getreu, 1802< „Johannes Bückler wurde am 25. Mai 1783 geboren.“ Das stimmt, aber es sagt nichts darüber, ob dieser Johannes Bückler auch tatsächlich der Schinderhannes war.

Dagmar Lutz datiert die Geburt des späteren Räuberhauptmannes in dem Buch >Schurke oder Held - Historische Räuber und Räuberbanden<, das 1995 bei Thorbecke erschienen ist, auf etwa 1779/1780. Sie schreibt: "Im Kirchenbuch von Miehlen bei Nastätten wird  das Geburtsdatum des Schinderhannes mit dem 25. Mai 1783 angegeben. Im Sterberegister der Stadt Mainz ist am 21. November 1803 vermerkt, dass Jean (Johannes) Bückler im Alter von 24 Jahren verstorben sei. Über die divergierenden drei bis vier Jahre wurde immer wieder diskutiert, doch die Untersuchungen Helmut Gensickes liefern gute Argumente dafür, dass Schinderhannes etwa um 1779/1780 geboren wurde."

Der Miehlener Heimatforscher Arthur Fuhrmann hat in der Schrift: 10 Jahre Heimatverein Miehlen, 1976-1986 in dem Beitrag: „Wer war der Schinderhannes wirklich?“ den Versuch gestartet, das Geheimnis um die Person des Räubers klären:

„Der Vollständigkeit halber sei auch noch erwähnt, dass manche Historiker bezweifeln, dass der 1783 geborene Johann Wilhelm Bückler  der Schinderhannes war, weil dieser dann schon im Alter von 13 Jahren mit der Räuberei begonnen haben müsse und bereits mit 20 Jahren hingerichtet worden wäre. Sie halten seinen älteren Bruder Friedrich Philipp für den Räuber und meinen, dieser sei nach dem Vater einfach "Hannes" gerufen worden. Andere vermuten, dass der zweitälteste Bückler Johann Wilhelm auf der langen und anstrengenden Planwagenfahrt von Miehlen gen Osten - der Junge war damals erst einige Monate alt - verstorben oder im Tross der Regimentes Hildburghausen umgekommen sei. Zur Erinnerung an ihn hätten die Eltern dessen Rufname "Hannes" auf den ältesten Sohn Friedrich Philipp übertragen. Tatsächlich tauchte der Name Friedrich Philipp seit dem Wegzug der Familie Bückler von Miehlen in der Schinderhannesliteratur nicht mehr auf.

Folgende Tatsachen dürften dafür sprechen, dass nicht Johann Wilhelm Bückler sondern Friedrich Philipp Bückler der Schinderhannes war.

1. Der Schinderhannes sagte bei der Schilderung eines Lebenslaufes vor dem Spezialgericht in Mainz aus: "Als ich neun Jahre alt war, dessertierte mein Vater ...". Diese Aussage hätte sein Bruder Johann Wilhelm nicht machen können, denn er war erst vier Jahre alt, als sein Vater 1787 fahnenflüchtig wurde.

2. Im Zusammenhang mit dem Birkenfelder Tuchdiebstahl wurde die Wirtsfrau Dupre, bei der der Schinderhannes im Winter 1796/97 einige Wochen ein Zimmer hatte und deren Tochter die erste Geliebte des Räubers gewesen sein soll, polizeilich vernommen. Etwa zur gleichen Zeit und in der gleichen Angelegenheit fand auch eine polizeiliche Vernehmung des "Schafhirten von der Börfink" statt. Beide gaben an, dass der Schinderhannes etwa 19 Jahre alt sei. Diese Altersangabe kann sich nur auf Friedrich Philipp beziehen, weil Johann Wilhelm zum Zeitpunkt der Vernehmung im Frühjahr 1797 erst 13 Jahre alt war (geb. am 25.5 1783).

3. Auch der Vater des Schinderhannes wurde zu dem Tuchdiebstahl vernommen, was am 10.5.1797 geschah. Der des Birkenfelder Diebstahls verdächtigte Johannes, so sagte er aus, sei sein "Ältester" und 17-18 Jahre alt. Wenn man auf das Wort  "Ältester" auf den ältesten der drei noch lebenden Bücklerkinder beziehen kann, so weist die Altersangabe doch auch hier auf Friedrich Philipp hin, da Johann Wilhelm auch bei dieser Vernehmung noch im 13. Lebensjahr stand. Interessant bei der Vernehmung ist die Tatsache, daß Vater Bückler weder sein eigenes Alter noch das Alter seines Sohnes genau angeben konnte.

4. Der Schinderhannes machte bei den gerichtlichen Vernehmungen in Mainz Angaben über sein Alter, die zwischen 22 und 24 Jahren schwankten. Er wusste also auch nicht genau wie alt er war, was auch bei den meisten seiner Gefährten der Fall war. Zum Zeitpunkt der Vernehmungen (1802) wäre Johann Wilhelm erst 19 und nicht 22 oder 24 Jahre alt gewesen, so dass dieser schwerlich der Schinderhannes gewesen sein kann.

Soweit die Gründe, die es wahrscheinlich machen, dass es sich nicht bei Johann Wilhelm Bückler, sondern bei Friedrich Philipp Bückler um den Schinderhannes gehandelt  hat.“

Der Stand der Wissenschaft

Die wissenschaftliche Schinderhannesforschung geht heute davon aus, dass der Schinderhannes im Herbst 1779 geboren worden ist. Nur, das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt. Dafür bieten sich mehrere glaubwürdige Erklärungen an: Es liegt ein Eintragungsfehler des Chronisten des Miehlener Kirchenbuches vor oder der Schinderhannes ist nicht in Miehlen, sondern -wie er selbst einmal angibt -  im nahegelegenen Weidenbach geboren oder der Schinderhannes ist nicht wie seine Brüder, protestantisch getauft, sondern wie andere Geschwister katholisch, weshalb er nicht im protestantischen Kirchenbuch verzeichnet ist.