KUMPEL & KOLLEGEN

Wo Armut, Hunger, Unfreiheit und Unterdrückung herrschen, da tauchen sie auf:

Die Gutmenschen in schlechten Zeiten, die Helden in Not und Hunger. Sie kämpfen gegen ihre Unterdrücker, gegen Angehörige des Geblüts- oder des Geld-Adels oder gegen fremde Armeen. Sie geben dem einfachen Volk das Gefühl, dass noch nicht alles verloren ist. Hoffnung heißt ihr Zauberwort. Es gibt sie in realer und erfundener Form, aber ob sie wirklich existierten oder erdacht worden sind, ihre gesellschaftliche Aufgabe haben sie stets zur Zufriedenheit ihrer Fans erfüllt.

Wer waren die, die wirklich gelebt haben?

Diejenigen von ihnen, die wirklich gelebt haben, waren Räuber, Mörder, Piraten, Wilderer oder Revolverhelden. Sie versuchten, sich als Nichtsesshafte mit Hausieren, mit Bettelei, Diebstählen oder Raubzügen über Wasser zu halten. Sie stammten zumeist aus den Randgruppen der Gesellschaft, waren Ausgestoßene, Vogelfreie, Deserteure.

Oder sie gehörten von Geburt an zu jenen, denen die damalige Gesellschaft von vornherein keine Chance gab. Dazu gehörten um das Jahr 1800 auch die Wasenmeister, die Abdecker, die oft auch Scharfrichter waren. Der Beruf ging vom Vater auf den Sohn über, die gesellschaftliche Ausgrenzung auch. Wenn dann einer aufstand und sich gegen die Zustände wehrte, brauchte es nicht viel, um zum Held zu werden.

Die Zeit, in der sie lebten, stopfte sie und Ihre Taten schon zu Lebzeiten aus. So entstanden schnell Mythen und mythische Figuren, zuerst in den Köpfen der Menschen, die allzu gerne glaubten, was sie glauben wollten, und dann in "Augenzeugenberichten" und Legenden, die sie von den Helden weitergaben.

Hier stellen wir sie ihnen kurz vor, die Kollegen des Schinderhannes.

Allen voran der berühmteste unter den Edlen, den gutherzigen Räuber schlechthin: Robin Hood.

Robin Hood, auch Robin von Locksley genannt. Kein anderer Räuber hat ein solches Maß an Popularität erreicht. Dabei ist die historische Existenz von Robin Hood bis heute nicht bewiesen. Die Figur ist wohl im 12. Jahrhundert als Legende in England entstanden. Seitdem hat Robin Hood viele Wandlungen erfahren.

Zu Beginn ist er gar kein lieber Bursche, unser Robin. Aber bald bringt ihn die Legende dazu, im Sherwood Forest zu leben, den Armen zu geben und Lady Marian zu lieben, die ein Mündel des Königs ist. Zu Beginn ist er ein Freisasse, ein unabhängiger Großbauer, aber im 16. Jahrhundert reicht das nicht mehr. Er wird zum Edelmann, Robert von Locksley, der für seinen König Richard Löwenherz kämpft, während der das Christliche Abendland bei einem Kreuzzug vertritt.

Noch später, im 19. Jahrhundert  wird er der edelmütige Sachse, der die schrecklichen Normannen bekämpft. So wurde aus dem Großbauernsohn Robin Hood der um sein Erbe betrogene Aristokrat und edle Räuber, der den Armen gab, was er den Reichen nahm, und gegen den Sheriff von Nottingham kämpfte.

Dieser Mythos hat sich bis heute gehalten. Dass er auch wachsam gepflegt wird, zeigt die Tatsache, dass die traditionsbewussten Engländer das Amt des Sheriffs von Nottingham bis heute nicht abgeschafft haben. Es ist die einzige konkrete Verbindung zum Volkshelden. Die Figur Robin Hoods wurde in einer Vielzahl von Büchern und Filmen aufgegriffen, so dass heute allgemein der Eindruck entstanden ist, er habe wirklich gelebt.

Im Gegensatz zum englischen Volkshelden waren die deutschen "Edelräuber" aus Fleisch und Blut. Ihr Leben, ihre Untaten und ihr meist unehrenhafter und gewaltsamer Tod konnte aber nicht verhindern, dass der Volksmund sie zu Helden machte. Die Wahrheit blieb darüber meist auf der Strecke, weil sie niemand hören wollte.

 

Um den Platz 1 unter den deutschen "Helden" streiten sich Johannes Bückler, der Schinderhannes, und der Seeräuber Klas Störtebeker.


Geboren wird der Pirat um 1360 in der Nähe von Verden an der Aller. Er wird der Anführer der Likedeeler, einer zunächst unbedeutenden Piratentruppe. Ihre Stunde kommt, als die dänische Königin Stockholm bedroht, das damals eine wichtige Handelsmetropole ist. Die Handelsstädte rufen die Seeräuber zu Hilfe und stellen Kaperbriefe aus, das sind  Erlaubnisse, alles zu unternehmen, was dem Königreich Dänemark schadet. Sie kämpfen auf eigenes Risiko, dürfen die gesamte Beute behalten und in deutschen Hafenstädten Handel damit treiben. Stockholm kanngehalten werden, nur die Geister, die man gerufen hat, werden die Hansenmeister nicht mehr los. Die Piraten berauben nun auch die Hanse. Eine Jagd auf offenem Meer beginnt. Im Jahr 1401 wurde Klas Störtebeker von einem Flottenverband gestellt und gefangen-genommen. Am 20. Oktober 1401 werden er und alle 73 Mitglieder seiner Besatzung in Hamburg hingerichtet.

Schon unmittelbar nach seinem Tod beginnt der Volksmund den Piraten zu verklären und Legenden zu erzählen. So auch die Legende, nach der sich der Störtebeker als letzten Wunsch ausgebeten haben soll, dass diejenigen Männer seiner Besatzung frei sein sollten, an denen er noch mit abgeschlagenem Kopf vorüber schreiten würde. Als er am elften Mann vorbeigelaufen sei, habe ihm der Henker ein Bein gestellt.

Der dritte deutsche "Volksheld" ist weder Land- noch Seeräuber gewesen. Es ist der bayerische  Wildschütz Georg "Girgl" Jennerwein.
Jennerwein, geboren 1848, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, muss als Zwölfjähriger miterleben, dass sein Vater von königlichen Jägern als Wilderer erschossen wird.  Nach dem Krieg 1870/71 verdingt er sich als Holzknecht und beginnt zunächst für den eigenen Lebensunterhalt zu wildern, weil das Holzschlagen nicht ausreicht. Er beliefert Wirte in der Umgebung von Schliersee mit billigem Wildfleisch und verschenkt Wildpret auch an ärmere Leute.  So beginnt er schon zu Lebzeiten als „guter Mensch“ bekannt zu werden.
Als er für die Obrigkeit zum fortdauerenden Ärgernis wird, jagen ihn königlich bayerische Forstbeamte. Schließlich fällt er am 6. November 1877 einem Verrat zum Opfer. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Angeblich - so jedenfalls die offizielle Version - wird er von seinem eigenen Freund hinterrücks erschossen. Sein geheimnisvoller Tod, seine verwegene Gestalt, sein Widerstand gegen die Obrigkeit und schließlich die Tatsache, dass man seiner nur durch Verrat habhaft wurde, all das hat geradezu nach einer Legendenbildung geschrien, die in Bayern nicht lange auf sich warten ließ und noch heute aktuell ist. Am 99. Todestag ist von Unbekannten eine gewilderte Gams an das Grabkreuz des Jennerwein gehängt worden. Schon kurz nach seinem Tod ist das  sogenannte Jennerweinlied entstanden, das den „Meuchelmord“ an dem Wilderer beschreibt. Auch andere bayerische Wilderer und Gesetzesbrecher wie Matthäus Klostermair, der "Bayerische Hiasl", (1736-1771) oder Mathias Kneißl, der "Räuber Kneißl", (1875-1902) sind in den Rang verklärter Helden aufgestiegen, deren Taten man besungen hat.

In den Rang von Volkshelden schaffen es in Frankreich und Italien Romanfiguren, die in ihren Ländern bis heute sehr populär sind:

Arsène Lupin, der Meisterdieb. Er ist eine Erfindung des französischen Schriftstellers Maurice Leblanc. Arsène Lupin, Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, genießt eine hervorragende Ausbildung in Jura und Medizin, spricht mehrere moderne und alte Sprachen fließend, ist ein Meister der Verkleidungskunst und verschiedener Kampfsportarten.  Er verabscheut Gewalt und tötet nur in Notwehr. Und weil seine Opfer stets auf fragwürdige Weise zu ihrem Reichtum gekommen sind, genießt er in Leblancs Romanen, bei den Lesern und schließlich in der breiten Bevölkerung große Sympathien. Zwischen 1905 und 1935 schreibt Leblanc insgesamt 20 Romane, zwei Theaterstücke und etliche Kurzgeschichten. Schon 1910 gibt es den ersten Stummfilm, der erste Hollywood-Streifen folgt 1932; die jüngste Verfilmung stammt aus dem Jahr 2004.

Was Arsene Lupin für die Franzosen, ist dieser Italiener für seine Landsleute: Rinaldo Rinaldini.
Der Schriftsteller Christian August Vulpius (1762 - 1827) hat die Geschichte des Räubers Capitano Angelo Duca (1734-1784) zum Vorbild seiner Figur genommen. Duca, ein sizilianischer Bauer, geht 1780 als Bandit in die Berge, weil ihm einer Lappalie wegen aus adliger Willkür heraus der Verlust von Gut und Leben drohte. 1799 erscheint der Roman und findet alsbald weitere Auflagen, Nachdrucke, Raubdrucke und zahlreiche Übersetzungen. Auch heute noch noch werden Neuauflagen des Romans gedruckt und Fernsehverfilmungen gezeigt. Vulpius Geschichte von  "Rinaldo Rinaldini", die er selbst im Untertitel eine „romantische Geschichte“ nennt, hat ein ganzes Genre geprägt, in der das tatsächliche oder auch nur erfundene Lebensschicksal von Räubern und Sozialrebellen romanhaft aufbereitet worden ist.

Auch große deutsche Dichter haben sich der spannenden Geschichten um Räuber, die tatsächlich oder vermeintlich gegen die Obrigkeit kämpften, angenommen und manchmal inspiriert von lebenden Personen, große Stücke geschaffen: Michael Kohlhaas.

Heinrich von Kleist nimmt das Leben eines gewissen Hans Kohlhase, geboren um 1500 in Tempelberg bei Müncheberg, als Vorlage für einen Michael Kohlhaas. Kohlhase ist Bürger von Köln und galt als rechtschaffener und ehrlicher Kaufmann. Nachdem ihm bei einer Reise nach Leipzig großes Unrecht geschieht beginnt er seinen Kampf gegen die Obrigkeit.  Er klagt sein Recht ein, und bekommt trotz eindeutiger Beweislage kein Recht. Nun beginnt er sein Recht gewaltsam einzutreiben. Nach zweijährigem gewaltsamen Kampf wird er in Berlin verhaftet und am 22. März 1540 vor Gericht gestellt. Er wird er zum Tode verurteilt und am 22. März 1540 in Berlin gerädert.
 
Friedrich Schiller zeigt in seinem Sturm-und-Drang-Stück „Die Räuber“, wie gefährlich es ist, wenn Gewalt sich verselbständigt und in Zerstörung und Tod endet.  Karl Moor, der edle Räuber,  ein idealistischer Rebell gegen die ungerechte Gesellschaftsordnung, wird letztlich zum Mörder. Ein Familienstreit mit Enterbung des Karl führt zur Gründung einer Räuberbande, die „für eine bessere Welt“ kämpfen will. 1782 im Mannheimer Nationaltheater uraufgeführt wurde Schillers Räuberdrama ein Welthit, aufgeführt in London und Paris, New York und Moskau. Das Stück war mitverantwortlich für die Räuberromantik, die im 19 Jahrhundert ganz Europa erfasste.

Ein weiterer deutscher Held darf  in dieser Galerie nicht fehlen:
 
Wilhelm Voigt, der Hauptmann von Köpenick. Ein kleiner Schuster hält 1906 in Berlin der Gesellschaft den Spiegel vor. Der vorbestrafte Handwerksgeselle versucht, einen Pass zu bekommen, der ihm aber wegen seiner Vorstrafe nicht erteilt wird. In seiner Not besorgt er sich eine schlecht sitzende Hauptmannsuniform und stürmt mit einem Trupp Gardesoldaten unter sein Kommando das Rathaus von Köpenick. Er läßt den Bürgermeister verhaften und beschlagnahmt die Stadtkasse. Zunächst lacht Berlin über den Streich und dann die Welt, weil es dem Schuster gelungen ist, die Uniform-Gläubigkeit und den Untertanengeist seiner Landsleute für seine Zwecke zu missbrauchen. Carl Zuckmayer nahm die Geschichte des Schuster auf und schrieb 1931 die Tragigkomödie „Der Hauptmann von Köpenick“. Unvergesslich ist die Verfilmung des Stückes mit Heinz Rühmann als Wilhelm Voigt.
Der echte Schuster Wilhelm Voigt tingelt nach seiner Begnadigung am 16. August 1908  als falscher Hauptmann auf den Varietébühnen Europas und stirbt, durch die Inflation völlig verarmt,  am 3. Januar 1922 in seiner Wahlheimat Luxemburg.

Doch nicht nur in Europa gefallen die Geschichten von edlen Straftätern, besonders in der geschichtsarmen Neuen Welt gibt es das Bedürfnis nach Helden: Zorro. Das bedeutet auf Spanisch „Fuchs“. Und wie ein Fuchs lebt sie auch, diese amerikanische Romanfigur. Erfunden hat die Geschichte des Rächers der Armen mit schwarzer Maske und Umhang Johnston McCulley seinem Groschenroman "The Curse of Capistrano". Der Roman erscheint 1919 und wird schon 1920 verfilmt.
Danach werden die Abenteuer des Maskierten unter dem Titel "The Mark of Zorro" veröffentlicht. Die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert in Kalifornien. Das Land gehört damals noch zu Mexiko. Zorro führt ein Doppelleben: Tagsüber spielt er den feigen Edelmann Don Diego de la Vega, nachts verwandelt er sich zum Rächer des Volkes. Er ist ein hervorragender Reiter und Fechter. Als „Markenzeichen“ hinterlässt er bei seinen Gegnern immer ein geritztes „Z“. Der Stoff ist vielfach verfilmt worden.

Vergleichbar populär wie der Schinderhannes als edler Räuber wird in Amerika ein Bandit, den der Volksmund zu einer der legendären Figuren des Wilden Westens machte: Jesse James.

Jesse Woodson James wird am 5. September 1847 in Centerville/in Missouri geboren. Der amerikanische Bürgerkrieg verschlägt James und seinen Bruder Frank in eine Guerillagruppe, die gegen Sympathisanten der Unionstruppen kämpft. Nach dem Bürgerkrieg herrschen in Missouri anarchische Zustände. Jesse James wird einen Monat nach Kriegsende von einem Unionskavalleristen angeschossen und schwer verletzt. Jesse und einige seiner früheren Guerillakameraden lehnen es ab ins Privatleben zurückzukehren. Sie begehen den ersten Banküberfall.
1868 tun sich Frank und Jesse James mit ihrem alten Freund Cole Younger zusammen. Jesse wird zum bekanntesten der früheren Guerillas und beraubt  Banken in ganz Missouri. Der Herausgeber der Kansas City Times veröffentlicht Briefe von Jesse James und benutzt diese Veröffentlichungen dazu, Jesse als Symbol einer wiedererstarkten Rebellion darzustellen. Er politisiert Jesses Banditenleben.
1873 verlegt sich die Bande auf Zugüberfälle. Die Zuggesellschaften setzen Detektive der Pinkerton-Detektei auf die Bande an. Nach blutigen Auseinandersetzungen töten die Detektive Jesses Halbbruder Archie durch einen Sprengsatz und verwunden seine Mutter Zerelda. Diese blutige Tat macht Jesses James in Zeitungskolumnen endgültig zur Sympathiefigur in der Öffentlichkeit.
Nachdem seine Bande durch Festnahmen und Todesfälle ziemlich dezimiert worden ist wird Jesse James schließlich am 3. April 1882 in seinem Haus von hinten erschossen. Um diesen Tod hat es Verschwörungstheorien gegeben, die darauf hindeuten, dass James nicht getötet worden sei. 1995 wurden die sterblichen Überreste von Jesse James exhumiert und einer DNA-Analyse unterzogen. Sie hat eindeutig bewiesen, dass Jesse James tatsächlich erschossen worden ist.


Es gibt scheinbar in vielen Gesellschaften das Bedürfnis, sich Grenzgänger zwischen der Welt des Guten und der des Bösen zu schaffen.

Auch der australische Kontinent, der bekanntlich von seinen englischen „Besitzern“ mit einer Vielzahl von „heldenverdächtigen Ganoven“ besiedelt worden ist, hat über dem Kampf gegen seinen Kolonialherren seinen eigenen Helden kreiert: Ned Kelly.

Geboren um 1854 nördlich von Melbourne wird er für viele Australier zum Volkshelden, weil er in ihren Augen gegen die englischen Kolonialherren kämpft. Tatsächlich war er Australiens berühmtester Straßenräuber. Als er 12 jahre alt ist stirbt sein Vater. Schon mit 14 begeht er seinen ersten Überfall. Er gerät mehr und mehr mit der Obrigkeit in Streit, die Polizei fahndet wegen Mordes nach ihm. Da kommt er auf die Idee, sich einen Panzer, eine frühe Schussweste zu bauen. Sie soll ihm mehrmals das Leben retten und wird sein Markenzeichen. Nach einer Schießerei mit Soldaten verfasst er den berühmten Jerilderie-Brief, er klagt die Behandlung der irischen Katholiken durch die Polizei der englischen und irischen Polzei an und erwähnt die Möglichkeit eines Aufstandes. Im Juli 1880 nimmt er in einem Hotel Geiseln, es kommt zu einer Schießerei, bei der er verletzt und festgenommen wird. Er kommt vor Gericht, wird zum Tod verurteilt und am 11. November 1880 im Old Melbourne Goal gehenkt. Seitdem ist Ned Kelly Teil der australischen Geschichte. Seine Heimatstadt hat ihrem „Volkshelden“ ein Denkmal gesetzt. Der australische Künstler Sidney Nolan nahm sich Kellys Rüstung als Sujet für seine berühmte Bilderserie Ned Kelly.


Wie stark die Sehnsucht und die Bereitschaft ist, an sich kriminelles Verhalten zu verniedlichen, eine Tat zu bagatellisieren und den oder die Täter zu Helden zu stilisieren, zeigt eine Posse, die Anfang 2006 die Gesellschaft in unserem Nachbarland Österreich spaltete: Robert Mang.

Da klaut der Besitzer eines Alarmanlagen-Geschäftes am 11. Mai 2003 ein antikes Kunstwerk, ein Salzfass des Renaissance-Künstlers Benvenuto Cellini, aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Am 21. Januar 2006 wird der Täter gefasst. Das Diebesgut wird aus einer im Wald vergrabenen Kiste geborgen. Eine beispiellose Debatte um die Person und die Motive des Täters bricht aus, schnell wird er zum Ankläger der Wiener Museumsszene schlechthin. Die Opposition fordert Rücktritte, der Täter erhält offen Bewunderung dafür, dass er es mit bescheidenen Mitteln geschafft hat, es denen da oben einmal zu zeigen.
Derweil beteuert der Täter, er sei doch nur besoffen gewesen, aber wen interessiert das schon. Ein bekannter Soziologe analysiert die Sympathie-Werte für den Meisterdieb und stellt fest: „Alle großen Ganoven, die gewisse Regeln eingehalten haben, sind beliebt? Die kleinen Leute dürfen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden und die Tat muss gegen eine bestimmte Schicht, etwa Reiche oder Aristokraten, gerichtet sein.“ Der Chef der österreichischen Gesellschaft für Marketing bestätigt dem Täter ein „Gentleman-Image“, die Darstellung der Tat und des Täters habe eine „Robin-Hood- oder Räuber-und-Gendarm-Romantik“ erzeugt. Inzwischen hat eine Wiener Galerie eine „Kunstklappe“ zur anonymen Rückgabe gestohlener Kunstwerke eingerichtet. Jetzt überlegt der Täter, ein Buch über sein Verbrechen zu schreiben. Laut wird überlegt, den Stoff á la Hollywood zu verfilmen.

Na dann los. So werden „edle Räuber gemacht! Der Walk of Fame für edle Räuber steht jedem offen, der sich ernstlich bemüht.

Der Schinderhannes, Ned Kelly, Klaus Störtebeker, sie alle wurden nach ihrem Tod zu Helden der Volksseele.

Aber was haben sie noch gemeinsam?

Sie sind Männer!

Frauen hatten es gegen diese Konkurrenz stets schwer, sich als Heldinnen zu etablieren und die Gemüter der Massen zu streicheln. Dabei gab es auch unter den Frauen genügend Outlaws, die das Zeug dazu gehabt hätten:

Anne Bonney wird 1700 als uneheliche Tochter eines Rechtsanwalts und des Dienstmädchens ihres Vaters im irischen County Cork geboren. Um ihrem strengen Vater zu entkommen heiratet Anne den Piraten James Bonney und macht fortan die Karibik unsicher. Sie verläßt ihren Mann und brennt mit dem berühmten Piratenkapitän 'Calico Jack' Rackham durch. Bald gilt sie als gefährlicher als ihre männlichen Kollegen. 1720 werden Sie und ihr Mann gefasst und zum Tod verurteilt. Ob die Strafe vollstreckt worden ist, wissen die Chronisten aber nicht zu berichten.

Bella 'Belle' Starr wird 1848 in Missouri als Myra Maybelle Shirly geboren. Sie wächst in begüterten Verhältnissen auf, aber der Bürgerkrieg nimmt der Familie den gesamten Besitz. Sie verliebt sich in den Outlaw James Read, heiratet ihn und beide schließen sich der Jesse-James-Bande an. Sie erwirbt sich bald den Ruf der amerikanischen Banditenkönigin, gilt als verdorben und männermordend. Zwischen 1873 und 1889 überfällt sie wohlhabende Bürger, raubt Postkutschen aus und stiehlt Pferde. Am 3. Februar 1889 stirbt Belle Starr. Jemand hat ihr zwei Ladungen Schrot in den Rücken geschossen, wie, das ist bis heute nicht geklärt. Sie wird drei Tage später im Indianerterritorium beerdigt.

Aber nicht nur Amerika kann mit seinen Ladies auftrumpfen, auch im alten Europa fröhnten Frauen dem Unwesen, raubend und mordend durchs Land zu ziehen:

Die 'Schleiferbärbel', geboren 1740 als Barbara Krämer, wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und heiratet einen jähzornigen und alkoholabhängigen Scherenschleifer. Sie verläßt ihn und macht Karriere als Räuberin. Aber anders als der ihrer männlichen Kollegen ist ihr Ruf im Volk der einer versoffenen, verschlagenen und lüsternen Schlampe. Ladylike achtet sie aber sehr auf die Kleidung ihrer Bande und legt auch selbst Hand an, wenn es gilt Stickereien zu fertigen. Barbara Krämer erhängt sich in ihrer Zelle, nachdem man ihrer habhaft geworden war.

Christina Schettinger, besser bekannt unter Ihrem Räubernamen „Schwarze Christina“, genießt einen sehr schlechten Ruf in der Bevölkerung. Sie tut sich mit dem Räuber Josef Schwan zusammen, der als 'Sonnenwirtle' in Schwaben sein Unwesen treibt. Gemeinsam mit ihm wird sie am 21. Juli 1760 gehenkt.  Da sie erst kurz zuvor ein Kind geboren hat, wehrt sie sich bei der Hinrichtung mit aller Macht: „Verfluchte nutzlose Pfaffen, katholische wie evangelische. Ist denn kein anständiger Christ da, der einer Mutter und einem Kinde helfen kann?“ Da ertönt Gelächter, die Zuschauer spucken und bewerfen sie mit Dreck, bevor der Henker sie vom Podest stößt.

Und doch, eine Frau hat es geschafft, so etwas wie eine wahre Volksheldin zu werden:

Grace O‘Malley (1530 — 1603) tritt nach einer gescheiterten Zwangsehe das Erbe ihres Vaters an. Sie wird von ihrem Clan zum Chef bestimmt und  ernährt diesen fortan erfolgreich mit Piraterie. Ihre Erfolge bringen der Familie großen Wohlstand. Sie erwirbt sich einen guten Ruf, weil sie ein Herz für die armen Teufel zeigt, die auf den erbeuteten Schiffen als Matrosen arbeiten.  Geschickt vertritt sie die irische Sache gegen die englische Krone.
Das führt dazu, dass sie schließlich eine Art Nationalheldin der Iren wird. In hohem Alter stirbt sie als geehrte Clan-Chefin an der Westküste Irlands.