MYTHOS & VERKLÄRUNG

Im Vergleich mit anderen Räuberhauptleuten war der Schinderhannes eigentlich eine kleine Nummer. Abraham Picard etwa, der Chef der Großen Niederländischen Bande, räuberte mit seinen Leuten in einem Gebiet, dass von Nordfrankreich über Belgien in den Rheinraum bis zum Oberrhein reichte. Der Schinderhannes beschränkte sich - von seinen Ausflügen ins Hessische und in den Odenwald abgesehen - auf den Soonwald im Hunsrück. Und doch, kein anderer Räuber brachte es in Deutschland zu solcher Popularität.

Moritaten, „Groschenhefte“, der erste Roman zu seinem Leben. Das alles hätte dem Schinderhannes noch während seiner Haft im Mainzer Holzturm die Zeit vertreiben können. Er wäre erfreut gewesen, die Saat, die er selbst gesät hatte, so prächtig aufgehen zu sehen. Denn seine Gestalt ist von Legenden umgeben, so dass es oft unmöglich ist, zwischen Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden.

Wie konnte es dazu kommen?
Die alte Weisheit „Gute Räuber sind allemal beliebter als böse Räuber!“ reicht zur Erklärung sicher nicht aus.

Aus heutiger Sicht sind es vor allem fünf Gründe, die zur Verherrlichung und Mystifizierung des Schinderhannes geführt haben:

1.          Die Persönlichkeit des Johannes Bückler.
2.          Die Romantik des 19. Jahrhunderts.
3.          Der Antisemitismus der Zeit.
4.          Der Kampf gegen die Franzosen.
5.          Die Eignung zum Klassenkämpfer.

 

Die Persönlichkeit des Johannes Bückler

Verglichen mit Klas Störtebeker, der bei der Hinrichtung um die 40 Jahre alt gewesen sein soll, hatte der Schinderhannes eigentlich wenig Zeit, „berühmt“ zu werden. Andere widerum waren grausamer und erfolgreicher, avancierten aber dennoch nicht zum Helden.

Eine Spur, dem Geheimnis des Menschen Schinderhannes“auf den Grund zu gehen, liegt in der Person des Johann Wilhelm Bückler. Er konnte Menschen in seinen Bann ziehen, er verstand es zu organisieren und sich selbst ins rechte, ja gerechte Licht zu setzen. So legte er das Fundament seines „Heldentums“ selbst.

Er war ein erfolgreicher Kommunikator, ein Stefan Raab seiner Zeit. Heute würde man sagen, der Hannes verstand sich perfekt auf die PR in eigener Sache. Er kannte die Seelen der Menschen, vor allem der Nordpfälzer, der Hunsrücker Bauern und Handwerker, spendierte sich mit so mancher Runde in die Herzen der einfachen Leute, finanzierte so manches Dorffest und achtete darauf, den ohnehin armen Bauern nicht zu sehr zuzusetzen. Dieser PR hatte er es zu verdanken, dass er sich - über all die Jahre - in seinem Hunsrück relativ frei bewegen konnte, ohne an jeder Ecke Verrat befürchten zu müssen.

Der Schinderhannes besaß Organisationstalent, er bewegte sich in einem Netzwerk von Helfershelfern, Kundschaftern und einfachen Bauern und Müllern, denen er vertrauen konnte. Sie gaben Tipps, wo es was zu holen gab, erkundeten Gehöfte und Reiserouten der Kaufleute, sorgten für sichere Verstecke und Fluchtwege und leisteten Fährdienste. Sie sorgten dafür, dass Hehler bereitstanden, die Beute schnell zu übernehmen.

Von seinen Räuberkollegen hob er sich durch einen gewissen Bildungsgrad ab, er sprach keinen Dialekt, konnte einigermaßen lesen, schreiben, rechnen und hielt sich mit übertriebener Brutalität zurück. Er verstand es zu improvisieren und deutete Glück in Geschick um. In Gefangenschaft und bei Verhören zeigte es sich stets kooperationsbereit.

So entstand ein romantisch verklärtes Bild des Räubers, das sich bis zum heutigen Tag in den Köpfen festgesetzt hat.

Der Schinderhannes war sich seiner Popularität sehr bewusst. Dies zeigen seine Aussagen zur missbräuchlichen Nutzung seines Namens für kriminelle Zwecke. So gibt er in seinem Verhör (22) an, dass ein Mann namens Feist von Umbstadt seinen Namen missbraucht habe. Er habe deshalb an das Fenster der Wachstube des Amtes von Umbstadt einen Brief anheften lassen, worin er die Arretierung dieses Mannes gefordert habe. Ebenso berichtet er, dass er erfahren habe, dass auch eine gewisse Anna Maria Schäfer aus "Wallenbruk" bei Kirchberg seinen Namen missbraucht habe, um die Juden von Thalfang zu erpressen (78).

Der Schinderhannes hatte Charisma. Seine Kollegen bewunderten ihn, für viele war er ein Vorbild. Gerne gab man vor, ihn zu kennen, behauptete gemeinsame Raubzüge oder brüstete sich mit seiner Freundschaft. So soll der Bandit Carl Heckmann, der gelegentlich mit dem Hannes Verbrechen beging, den Zuschauern bei seiner Hinrichtung in Köln zugerufen haben: "Leute seht mich an, ich bin der wahre Schinderhannes."
 
Ein anderer Räuber, der Brabanter Claus, gab im Verlauf seiner Einkerkerung in Marburg damit an, "daß er ein enger Freund besagten Schinderhannes sey und jener vor seiner Exekution oft gesagt habe, er wolle gerne sterben, wenn nur seyn Claus bey ihm sey."  Dieser Claus, das versteht sich von selbst, war er selbst.

Seine zahlreichen Gefängnisausbrüche brachten ihm Bewunderung ein. Mit jedem Ausbruch wurde er ein Stück unfehlbarer, unverwundbarer. Das ging so weit, dass das Volk ihm sogar die Gabe der Unsichtbarkeit andichtete. Und mit jeder sagenhaften Geschichte, die über ihn erzählt wurde, mit jeder neuen Legende, die in Umlauf kam, trat das Bild des brutalen Räubers in der Wahrnehmung der Menschen weiter in den sich immer mehr verblassenden Hintergrund.

Hannes pflegt sein Image. Im Rahmen des großen Schinderhannesbanden-Prozesses, der am 24. Oktober 1803 in Mainz begann, verfolgte Hannes konsequent die Strategie, sich als „Robin Hood des Hunsrücks“ zu verkaufen. Er sah sich in dem Rummel um seine Person bestätigt, als schon zum ersten Prozeßtag ein Ansturm auf die beschränkte Anzahl der Eintrittskarten begann. Dabei hatte man den Prozeß schon ins Mainzer Schloss verlegt, damit mehr Zuhörer dabei sein konnten. Ein Chronist beschreibt seinen Auftritt so:  Er „wandelte so flüchtig und heiter dahin, als wenn es zum Tanze gehe“.

Der Hannes gestand, wie in den Verhören auch, die meisten seiner Taten, er achtete aber peinlich genau darauf, bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten. Er leugnete stets grausam gewesen zu sein. Im Gegenteil, er habe Greueltaten verhindert, Schlimmeres verhütet und sei stets bemüht gewesen, seine Miträuber von Grausamkeiten abzuhalten. Er sah sich gern als Anwalt der Bedrückten und Erniedrigten.

Dass diese Selbstdarstellung des Schinderhannes nicht ganz aus der Luft gegriffen war, zeigt ein historisches Dokument, dass der Sicherheitsbeamte des Bezirks Simmern, Johann Nikolaus Becker, schon 1804, also wenige Monate nach der Hinrichtung, veröffentlichte. Es handelt sich um einen Brief des Inspektors der Salinen zu  Münster im Canton Bad Kreuznach, Lichtenberger, den der Schinderhannes 1802 um Vermittlung zu einer Rückkehr in die bürgerliche Gesellschaft gebeten hatte.

Lichtenberger schreibt, er sei wegen eines Holzkaufs im Soonwald bei Alten-Bamberg unterwegs gewesen und habe plötzlich dem Schinderhannes und seiner Bande gegenüber gestanden: „Meine Verlegenheit in dieser Lage übersteigt jede Beschreibung. Umzingelt von acht Räubern, wovon mehrere als Mörder und  alle als entschlossene Menschen bekannt waren, versehen mit einer Uhr, silbernen Schnallen und einer neuen Jagdflinte, musste ich alles Unangenehme, selbst den Tod fürchten. In dieser schrecklichen Lage fasste ich den Entschluß, mich dem Räuber-Hauptmanne, der mir entgegenkam, zu nähern, denn er hatte sich, bei allen durch seine Bande verübten Grausamkeiten, minder grausam gezeigt. Ich erstaunte über die Freimüthigkeit des Räubers, über seine offene ruhige Miene, die gewöhnlich den schwarzen Verbrecher flieht, und welche um so sehr auffiel, da der durch schreckliche Mordthaten gebrandtmarkte Schwarze Peter neben ihm stand, der einem Male zum Ideale der teuflichen Bosheit dienen könnte, und der mit Harpyen-Blicken meine Uhr und meine Schnallen betrachtete, und ohne des Schinderhannes Gegenwart sicher seine schlechte Flinte gegen meine bessere würde vertauscht haben. Jetzt erfuhr ich die Wahrheit der Aussage des Schinderhannes, dass seine Bande ohne ihn weit schrecklicher sey, als unter seinem Commando. Der schöne in vollkommenem Ebenmaaß gebildete Körper des Schinderhannes, seine ruhige, unbefangene Miene, sein edles Betragen gegen mich und meine Gefährten bestärkten mich in der Idee, daß Schinderhannes kein so sehr verstockter Bösewicht sey, dass er nicht noch gebessert werden könne.“

Selbst auf dem Schafott hatte der Schinderhannes noch die Nerven, Einfluss auf sein posthumes Image zu nehmen. Der Hinrichtung wohnten zeitgenössischen Berichten zufolge mehr als 30.000 Menschen bei. Das lag zum einen an der Person des Schinderhannes, zum anderen aber daran, dass Hinrichtungen in Mainz eher selten stattfanden. Diese Hinrichtung war zudem deshalb etwas ganz Besonderes, weil die Menschen endlich einmal das Gerät in Aktion sehen wollten, mit dem die Revolution sich des französischen Königspaares  entledigt hatte, die Guilottine.

Ein damaliger Augenzeuge mit Namen Weizel beschrieb die Verfassung des Schinderhannes so: "Die Ruhe und Fassung dieses Menschen in dem entsetzlichen Momente war erstaunenswürdig. Kein Zug von Wildheit oder Brutalität entstellte sein Gesicht, er schien ruhig und heiter. Wäre er für eine gute Sache gestorben, man müsste seine kräftige Natur rühmen. Gewiss hätte was Treffliches aus dem Menschen werden können. Sein Verhängnis wollte, dass er unter der Hand des Henkers sterben sollte."

Selbst im Angesichts des Todes besaß der Schinderhannes noch ein Gespür für die Dramatik des Augenblicks. Als die Henkersknechte den Schinderhannes als ersten packten, rief er aus:  “Ich sterbe willig, ich habe den Tod verdient, aber von diesen sterben wenigstens zehn unschuldig“. Gemeint waren seine neunzehn Mitgefangenen, die ihm im Minutenabstand in den Tod folgten.

Die Romantik des 19. Jahrhunderts

Ausgangs des 18. Jahrhunderts neigte sich die Epoche des Absolutismus, geprägt durch  kaiserliche, königliche, fürstliche oder gräfliche Willkürherrschaft, ihrem Ende zu. Die Prunksucht der Herrscher und die vielen Kriege hatten das einfache Volk in große Not gestürzt. Gedanken der Aufklärung keimten auf und man sehnte sich nach Freiheit und Selbstbestimmung. Sturm-und-Drang-Zeit sollte man später die Jahrzehnte nennen, in der große Schriftsteller das Gefühl des Volkes aufgriffen und unvergessliche Figuren der Weltliteratur schufen: Goethe den Götz von Berlichingen und Schiller in seinen „Räubern“ den Karl Moor. Das Volk fand dort die Helden,  die das, was es selbst im Herzen trug,  auch gegen die Gefahr der Bestrafung verwirklichten. So entstand ein romantisches und realitätsfernes Lebensgefühl, das in Schillers Räubern deutlich zu Tage tritt:

Ein freies Leben führen wir,
ein Leben voller Wonne.
Der Wald ist unser Nachtquartier,
bei Sturm und Wind hantieren wir,
der Mond ist unsre Sonne...

Den deutschen Herrschern gefielen diese Anwandlungen der Herren Dichter ganz und gar nicht, weshalb sowohl Goethes "Götz von Berlichingen" 1773 als auch Schillers "Räuber" 1781 zunächst anonym erscheinen mussten. Aber dem Volk, dem gefielen diese raubenden Helden und Bedarf wird bekanntlich gedeckt:

Der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller der damaligen Zeit, Heinrich Zschokke (1771 — 1848) , fügte den Räuberromanen mit „Abällino, der große Bandit“ einen „Bestseller“ hinzu, der das Bild der Räuber noch intensiver verklärte.

Das durchschlagende Interesse an Räubern weckte dann aber Goethes Schwager Christian August Vulpius mit seinem Klassiker "Rinaldo Rinaldini“. Das Werk kam beim Publikum so gut an, dass der Erstauflage in rascher Folge weitere Auflagen folgten. Den Erfolg nutzend schrieb Vulpius schnell einen zweiten und einen dritten Band.  Als Vulpius seinen Rinaldo im dritten Band sterben ließ, war er wegen des Erfolges gezwungen, seinen Helden wieder aufleben zu lassen.  Damit war ein Genre geboren.

Weiterer Lesestoff musste her und so verwundert es nicht, dass der Schinderhannes selbst das erste Werk zu seiner Person noch in der Haft im Mainzer Holzturm hätte lesen können. Ignaz Ferdinand Arnold veröffentlichte 1802 seinen Trivialroman >Der berühmte Räuberhauptmann Schinderhannes. Ein wahrhaftes Gegenstück zu Rinaldo Rinaldini.< in gleich zwei Bänden.


Der Antisemitismus der Zeit

Neben dem Den-Reichen-nehmen-und-Armen-geben-Klischee nutzte der Schinderhannes zu seinen Lebzeiten den latenten Antisemitismus in der Bevölkerung, um sein Image zu schärfen und Zustimmung beim einfachen Volk zu erheischen.

Die Landbevölkerung war zur damaligen Zeit überwiegend judenfeindlich. Dies nutzte der Schinderhannes, denn dadurch konnte er bei seinen Beutezügen auf reichlich Nachsicht hoffen,  sogar auf offen gezeigte Sympathie.

Wo es dem Schinderhannes nützlich erschien, stellte er sich als Judenhasser und überzeugter Antisemit dar. Er hatte auch schnell eine für die Menschen plausible Erklärung zur Hand: Er behauptete,  seine Eltern seien von einem Juden um ihr ganzes Vermögen gebracht worden. Wir wissen heute, dass das nicht stimmt: Hannes Eltern flohen gezwungenermaßen aus ihrem Wohnort Miehlen und ließen alles 'freiwillig' zurück. Die ganze Habe der Bücklers wurde später versteigert, um deren Schulden zu bezahlen.

Aus heutiger Sicht muss man feststellen, dass es dem Schinderhannes nur darum ging, sich den auf dem Lande mit der Besetzung durch die Franzosen beträchtlich angestiegenen Antisemitismus zur Pflege seines Images zu Nutze zu machen.

Den Juden war seit dem Mittelalter der Zugang zu zahlreichen Berufen verwehrt worden. Sie waren gezwungen worden, ihren Lebensunterhalt mit der Pfandleihe oder dem Viehhandel zu bestreiten. Viele von ihnen machte diese Tätigkeit reich.  Wer dazu nicht in der Lage war,  zog als Hausierer von Dorf zu Dorf und versuchte, Kleinwaren zu verkaufen. Das Gros der jüdischen Bevölkerung lebte aber in bitterer Armut.

Die Lage der Juden verbesserte sich dann mit den Ideen der französichen Revolution, die die Juden als citoyen (Bürger) allen anderen Bürgern gleichstellten. Ab 1798 stand den Juden - rechtlich - der Zugang zu allen Berufen offen. Das empfand vor allem die ländliche Bevölkerung als nicht richtig. Genau dieses Denken griff der Schinderhannes auf.

Dass er auf die Juden als Opfergruppe gestoßen war, hatte mehr mit dem Reichtum gut situierter Juden zu tun denn mit ihrem Glauben. Beim Juden gab es etwas zu holen. Hinzu kam, dass Überfälle auf Juden weit weniger gefährlich waren als Raubtaten gegen die übrige Bevölkerung.

Nachdem der Schinderhannes gemerkt hatte, wie gut es seinem Image tat, wenn er Unterschiede machte, praktizierte er dies so gut er konnte:
Juni 1800,  die Räuber überfallen mehrere jüdische Händler, die vom Kreuznacher Markt kommen.  Auf Befehl des Schinderhannes bleibt ein nicht-jüdischer Händler aus Gaugrehweiler unbehelligt. Diese Praxis sprach sich bald herum und fand Beifall und Anerkennung. Die überfallenen Juden beschwerten sich später, zwanzig Bauern, die auf einem Feld arbeiteten, hätten den Überfall beobachtet und nichts unternommen. Kein Wunder für die damalige Zeit, denn der Schinderhannes hatte des Überfall mit den Worten:„Jud, gib Dein Geld her oder Du bist des Todes!", eingeleitet.

Die Masche funktionierte. Die Historikerin Dr. Cilli Kasper-Holtkotte hat nachgewiesen , dass die Juden nur zwei Prozent der Bevölkerung stellten, insgesamt aber 120 Juden aus 58 verschiedenen Ortschaften des Hunsrücks und der angrenzenden Gebiete beraubt worden waren.

Wie schutzlos die Juden dem Treiben des Schinderhannes ausgesetzt waren, zeigt auch der Überfall im Haus des Händlers Wolf Wiener in Hottenbach. Trotz des Lärms, den die Räuber und ihre Opfer machten, kam kein Bürger zu Hilfe. Als Wiener die Kirchenglocke zum Alarm läuten wollte, wurde ihm auch diese Hilfe verweigert, denn die Glocken seien für Christenmenschen und nicht für Juden gemacht.

Wie sicher sich demgegenüber die Räuber fühlen, zeigt sich darin, dass sie sich nur einen Tag nach dem Überfall in Hottenbach öffentlich im Nachbarort Becherbach sehen ließen.

Wie sehr reiche  jüdische Mitbürger in der Bevölkerung verhasst waren, zeigen die Aussagen des Schinderhannes zu den Tipps aus der Bevölkerung: So habe der Förster Brixius ihn darauf gebracht, "einen Juden von Illingen" und den "Juden zu Staudernheim"  zu bestehlen (135, 252). Hinweise des Jakob Porn und des Lorenzpeter hätten ihn dazu veranlasst, einen Juden zu Ulmet zu überfallen (172). Ein alter Rentmeister beim Schloss zu Merxheim habe ihn angegangen, "den Juden zu Merxheim, der die Bauern so plage, einmal zu bestehlen" (210). Als dieser Raub durchgeführt wurde, so berichtet der Schinderhannes, sei man im Ort der Nachtwache begegnet. "Sie fragte uns wer wir seyen, und wohin wir gehen wollten. Ich antworte ihr frei, daß wir den Juden bestehlen giengen, worauf sie uns ohne die mindeste Hinderniß gehen ließ." (210)

Ein gewisser Johann Georg Scherer habe ihm auf die Frage, "ob er nicht einen Juden kenne, den wir bestehlen könnten", den Juden von Laufersweiler genannt, "bei dem wir viel Geld finden würden" (225). Der Gustav Becker habe ihn, so der Schinderhannes, gedrängt, einen Juden von Münsterappel zu bestehlen, der ihn einmal in einem Handelsgeschäft betrogen habe (240). Karl Michel aus Hundsbach habe ihm gesagt, dass "die Juden von Hundsbach wohl Geld geben würden, wenn ich ihnen forderte." (300) Der Friedrich Schmitt, auch "Sachs" genannt, der Jakob Porn von Eisenbach, der sogenannte Müller-Jakob und sein Sohn gaben dem Schinderhannes den Tipp, einen Juden in Södern zu bestehlen (425). Ein  Gustav Müller habe den Vorschlag gemacht, einen Juden in Obermoschel und einen in Lettweiler zu berauben (559). Selbst ärmere Juden - so berichtete der Schinderhannes - gaben Tipps, wo reichere Juden zu bestehlen seien. So sei der Tipp zum Überfall auf den Juden Wolf Wiener in Hottenbach von anderen Juden aus Hottenbach gekommen (34).

Juden waren eifrige Hehler des Schinderhannes und seiner Bande. So bekannte er in seinen Verhören, zwei Juden in Altenbamberg gestohlene Waren verkauft zu haben (Fragen 86, 412). Jüdische Hehler fand er nach seinen Angaben auch in Niedersaulheim (Frage 22), in Esch (Frage 156), in Rheinböllen (Fragen 165, 407), in Großzimmern (Frage 166), in Heidelberg (Frage 171) und in Diburg (Frage 382).
 
Zudem zeigte der Schinderhannes auch keine Scheu, mit Juden gemeinsam auf Raubzug zu gehen. So schloss er sich angelegentlich der Großen Niederländischen Bande des Abraham Pickard an, die fast ausschließlich aus Juden bestand. So berichtet der Schinderhannes, dass er auf der Hasenmühl "etliche von der Bande des Pickard unter dem Namen Niederlander Band bekannt", getroffen habe. "Sie machten mir den Vorschlag mit ihnen auf Verrichtung zu gehen; ich nahm ihn an, ...“
 
Man kann abschließend sagen, dass der Schinderhannes keine antisemitische Grundhaltung an den Tag legte: die Häufung der Straftaten gegen Juden war lediglich ein Reflex auf die Tatsache, dass bei vielen Juden auch viel zu holen war.


Kampf gegen die Franzosen

In seinen Verhören beruft sich der Schinderhannes an keiner Stelle auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Kampf gegen die französische Besatzung. Auch die französischen Beamten, die ihn verhören, werfen ihm an keiner Stelle Straftaten gegen die Besatzungsmacht vor. Er wird noch nicht einmal zu den Diebstählen von Armeeverpflegung befragt, die er in seiner Jugend wohl begangen hat. Der Schinderhannes sah sich selbst nicht als „Befreiungskämpfer“. Dieses Image wurde ihm von außen angetragen. So wie Robin Hood selbstverständlich gegen die wilden Normannen zu kämpfen hatte, so hatte der Schinderhannes die Franzosen im Blick. Es musste so sein, weil spätere Zeiten dieses Bild einforderten.

Besonders die erneute Besetzung des Rheinlands nach dem Ersten Weltkrieg durch französische Truppen hat zu Umdeutungen der Schinderhannes-Biographie geführt. Freiheitskämpfer gegen die französische Besatzungsmacht sei der Schinderhannes gewesen, behaupteten die Autoren zahlreicher literarischer und trivial-literarischer Werke. Aber hätte ein Freiheitskämpfer nicht die Begegnung mit den Franzosen gesucht? Hätte er sein Volk nicht aus dem Joch der Unterdrückung zu befreien versucht?

Die Schinderhannesverhöre zeigen, dass sich der Held stets nur verdrückt hat, wenn er fanzösischen Soldaten gegenüberstand. Er ging den Besatzern stets aus dem Weg: Räubereien im Kuseler Land lehnte er ab, „weil zu viel Franzosen in der Gegend von Kussel gelegen.“ (138)

In einem weiteren Fall berichtet er von den Vorbereitungen eines Überfalls: "Dieser, nemlich Glasers-Adam, gieng nach Berschweiler um die Lage auszuspähen; aber kam bald wieder zurük mit der Nachricht daß Franzosen im Dorfe wären, und daß das Haus des Mannes, welchen wir bestehlen wollten, ganz voll läge. Wir entsagten dann unserm Vorhaben.“ (425) So handelt kein Befreiungskämpfer, so handelt ein Räuber.

Zum Freiheitskämpfer gegen die Franzosen wird der Schinderhannes in der Literatur.  Vor allem Curt Elwenspoek zeichnet 1925 in seiner großen Schinderhannesbiographie Schinderhannes - Der rheinische Rebell das Bild vom National-Rebellen und inspiriert in der Folge Carl Zuckmayer zu seinem Schinderhannes.

Eignung zum Klassenkämpfer

Der Schinderhannes kam aus ärmlichsten Verhältnissen und er beraubte die Reichen. Nein, er verteilte um, aber eben auf seine Weise!

Das ist doch der Stoff, aus dem Revolutionäre und Klassenkämpfer geschnitzt werden. Was Elwenspoeck schon in seiner Schinderhannesbiographie angedeutet hatte, griff  Curt Bernhard in der ersten Schinderhannesverfilmung „ Schinderhannes — der Rebell vom Rhein“ von 1928 offensiv auf.

Bernhard setzte Carl Zuckmayers Bühnenstück filmisch um und schuf so den Hannes als proletarischen Vorkämpfer gegen die kapitalistische Klassengesellschaft.

Der Filmverleih schreibt dazu: „Ende des 18. Jahrhunderts leiden die Bauern im Hunsrück unter der Besatzung der Franzosen, die das linke Rheinufer kontrollieren, aber auch unter der Willkür der deutschen Fürsten. Hannes Bückler, genannt "Schinderhannes", kämpft als eine Art deutscher Robin Hood gegen die Unterdrückung. Er schließt sich einer von Leyendecker geführten Räuberbande an und verteilt die Beute unter den armen Bauern.“

Der englische Film-Titel „The Prince of Rogues“ (Der Prinz der Gauner) wäre der Wahrheit sicher näher gekommen. Aber die Währungs- und Wirtschaftskrise der 20er Jahre und dem folgend die Massenarmut der Weimarer Republik verlangten ein anderes Bild.